In Südtirol ist die Konflikt- und Streitkultur schon aufgrund der historischen Entwicklung nicht besonders ausgeprägt. Eine angemessene und konstruktive Konfliktbearbeitung birgt Vorteile für Betrieb und Mensch. Denn selbst wenn es friedlich und höflich zugeht, bedeutet das nicht automatisch ein gutes Betriebsklima.
Konflikte sind in Betrieben selten willkommen, werden sie doch allgemein als Störung empfunden, die es möglichst schnell zu beheben gilt. Dabei spielen Führungskräfte und Unternehmenskultur eine wichtige Rolle. In Unternehmen, die Konflikte tabuisieren, werden diese so lange ignoriert, bis sie eskalieren und sich negativ auswirken: Auf der Mitarbeiterseite durch ein unangenehmes Betriebsklima, das die Gesundheit und das Wohlbefinden am Arbeitsplatz beeinträchtigt; auf der Unternehmensseite durch direkte und indirekte Konfliktkosten aufgrund von höheren Krankenständen und Fluktuation, entgangenen Aufträgen und kontraproduktivem Verhalten. Prägnante Zahlen hierzu liefert die Konfliktkostenstudie der KPMG (2009) auf Grundlage einer Erhebung in 4.000 Industriebetrieben:
- 10-15% der Arbeitszeit werden in jedem Unternehmen für die Konfliktbewältigung verbraucht.
- 30-50% der wöchentlichen Arbeitszeit von Führungskräften werden direkt oder indirekt mit Reibungsverlusten, Konflikten oder Konfliktfolgen verbracht.
- Die Kosten pro Mobbingfall betragen im Durchschnitt 60.000 Euro.
- 1% der Mitarbeiterkosten pro Jahr gehen für unverarbeitete Konflikte verloren.
- ca. 25% des Umsatzes hängen von der Kommunikationsqualität ab. (KPMG 2009)
Wenngleich diese hohen Werte auch auf eine weit gefasste Konfliktdefinition zurückzuführen sind, die sich von der gängigen Definition sozialer Konflikte unterscheidet, zeigt diese Studie doch die Wichtigkeit einer angemessenen Konfliktbearbeitung. Dies um so mehr in Südtirol, in dem seit Jahrzehnten Zusammenhalt und Konsens als unersetzliche Grundlage für das kulturelle Überleben der Sprachgruppe/n kultiviert wird, wo konträre Positionen schnell als Nestbeschmutzung öffentlich geahndet werden, was zu einem Konflikt vermeidenden Verhalten beiträgt. Selten aber verschwinden Konflikte, wenn sie unter den sprichwörtlichen Teppich gekehrt werden, viel eher werden sie dann verdeckt ausgetragen.
Heiße Konflikte: Führungskräfte müssen aufpassen, sich nicht in der Blase wiederzufinden.
Aber woran erkennen wir Konflikte? Die so genannten heißen Konflikte sind nicht zu übersehen und oft auch nicht zu überhören: Es wird gestichelt, gereizt, provoziert und nicht selten laut. Konflikte heiß serviert bedeutet in Bezug auf die Unternehmenskultur eine offene und direkte Konfrontation mit klaren Fronten, wie tendenziell im Handwerk und im produzierenden Gewerbe wahrzunehmen. Problematisch wird es bei zunehmender Eskalation, wenn aus spielerischem Wettkampf und produktiver Konkurrenz erbitterte Kämpfe werden, die am Ende nur Verlierer kennen. Extrovertierte Persönlichkeiten mit gutem Durchsetzungsvermögen fühlen sich tendenziell in einem heißeren Klima wohl. Introvertiertere Menschen mit einem höheren Harmoniebedürfnis dagegen leiden schnell unter dem rüden Umgangston und strengen sich um so mehr an, was längerfristig zu Stress und Überforderung mit tendenziell höheren Krankenständen, Fehlerquoten und Kündigungen führt.
Auch für den Betrieb ergeben sich daraus Risiken: Wer als Führungskraft zu heißen Konflikten neigt und sich ständig im Haifischbecken wähnt, wo alles gefressen wird was auch nur entfernt an Leben erinnert, findet sich irgendwann in einer Blase wieder, wo „kritische“ Rückmeldungen unterlassen und wichtige Informationen unterschlagen werden, was sich heute kaum ein/e Entscheidungsträger/in mehr leisten kann. Fachkräftemangel und demographische Entwicklung, aber auch der zunehmende Kooperations- und Verhandlungsbedarf innerhalb der Betriebe und nach außen tragen zur Erkenntnis bei, dass Empathie und Achtsamkeit persönlich und wirtschaftlich von Nutzen sind. In Bezug auf die „empathische Konfrontation“ als (Führungs-)Kompetenz für die Konfliktbearbeitung liegt der Lernbedarf besonders im Bereich von Empathie, Verständnis und Einfühlungsvermögen. Diese ist erfahrungsgemäß selbst von Persönlichkeiten mit narzisstischen Tendenzen erlernbar, vorausgesetzt, sie erkennen den diesbezüglichen Bedarf und Nutzen. Was zunehmend der Fall ist und nicht nur an den boomenden Führungskräftetrainings unterschiedlicher Ausrichtung und Qualität sichtbar wird, sondern auch an einer steigenden Sozialverträglichkeit von Führungskräften mit nachweislich positiven Auswirkungen auf Teamklima und Mitarbeiterzufriedenheit.
Nicht so einfach wahrnehmbar sind dagegen kalte Konflikte, denn die Kommunikationskultur ist freundlich, man lässt sich ausreden, verbalisiert die gegenseitige Wertschätzung und nutzt die bekannte Sandwich-Methode um sich gegenseitig konstruktives Feedback zu geben. An und für sich positiv, aber nicht bei unterschwelligen Konflikten. Dann ist es friedlich und höflich. Friedhöflich. An der Oberfläche säuberlich geordnet und adrett bis nett, aber die eigentlichen Prozesse finden darunter statt: An Stelle des direkten Gesprächs findet Kommunikation schriftlich und mit Vorliebe über Mails statt, nicht selten auch ins Nebenbüro. Immer weniger geht es um das gegenseitige Verständnis und die gemeinsamen Lösungen, immer mehr umd Absicherung vor eventuellen (falschen) Anschuldigungen. Das Arbeitsklima ähnelt einem Minenfeld, wo jeder Schritt der letzte sein könnte. Diese angstbesetzte Atmosphäre bindet viel Energie, die Mensch und Unternehmen nicht mehr zur Verfügung steht. Zu dieser Konfliktkultur neigen tendenziell die Dienstleistungsberufe wie Versicherungen, öffentliche Verwaltung, aber auch Gesundheits- und Sozialbereich. Diese Arbeit macht krank, wenn die Diskrepanz zwischen dem inneren Erleben und dem äußeren Verhalten über lange Zeit zu hoch ist. Und für Unternehmen schädlich, weil relevante Themen nicht angesprochen, Risiken nicht benannt und Unzulänglichkeiten nicht wahrgenommen werden und damit wichtige Entscheidungen unterbleiben.
Was sollten demnach jene Menschen lernen, die zu kalten Konflikten neigen? Sie - die fortwährend auf Harmonie bedacht - schwer nein sagen können, sich ständig mehr Arbeit aufhalsen als realistisch machbar, in stoischer Friedfertigkeit gute Miene zum bösen Spiel machen und sich höchstens indirekt durchsetzen, indem sie mit demonstrativem Opferverhalten ihre Anliegen durch Schuldgefühle beim Anderen durchzusetzen suchen, was weder ihnen noch ihrem Umfeld zuträglich ist? In Bezug auf die „empathischer Konfrontation“ besteht für diese Menschen Entwicklungsbedarf besonders auf den Anteil der Konfrontation: Achtsamkeit sich selbst und den eigenen Bedürfnissen gegenüber, den eigenen Standpunkt und die eigene Rolle einnehmen, Entscheidungen treffen und mitteilen, die auch mal nicht auf ungeteilte Zustimmung treffen und für Klarheit sorgen sind ihre Herausforderungen. Was ihnen nicht leicht fällt, da sie Konflikte nicht selten als bedrohlich empfinden, aber mit einem besseren Teamklima belohnt wird, wenn sie die aus einem falschen Harmoniebedürfnis entstehende Willkür vermeiden und für jene Klarheit, Transparenz und Orientierung sorgen, die viel zu guter Arbeit beitragen.
Konflikte sind also bis zu einem bestimmten Maß gut für Unternehmen sind, entscheidend ist der Umgang damit: Wenn Führungskräfte dagegen über die Kompetenzen und Fähigkeiten verfügen, Konflikte angemessen offen zu bearbeiten, ist dies von hohem Nutzen für Betrieb und Mensch, denn:
- Selten gibt es Veränderung ohne Konflikte. Und Veränderungen sind in der Regel nicht konfliktfrei. Damit sind Konflikte Antreiber und Anzeichen gleichermaßen für Innovation und Entwicklung. Ein erfolgsrelevanter Faktor angesichts der volatilen Märkte unserer Zeit.
- Wo Konflikte wahrgenommen und bearbeitet werden, stellen sie sicher, dass alle Aspekte berücksichtigt wurden und fördern kreative Ideen und Lösungen. Oft werden Probleme erst durch den Konflikt besprochen und geklärt. Somit sind Konflikte Warnsignale und Hinweise darauf, wo Klärung erforderlich ist.
- Die Klärungsprozesse von Konflikten sind oft wichtige Entwicklungsschritte für Teams, denn erst die offene Kommunikation und Einbindung der verschiedenen Perspektiven führen jenen guten zu Teams, die es für den Unternehmenserfolg braucht.
- Konflikte schaffen Klarheit und bieten Sicherheit und Orientierung für Mensch und Betrieb. Ein wertschätzendes Miteinander und eine offene Kommunikation führen nachweislich zu besserer Gesundheit, mehr Wohlbefinden und einer höheren Arbeitszufriedenheit und zu geringeren Kosten für den Betrieb.
Wer also in die Konfliktfähigkeit und die entsprechenden Kompetenzen der Mitarbeitenden und besonders der Führungskräfte investiert, erhält damit nicht nur gesündere und produktivere Mitarbeitende, sondern auch etwas, das in unserem kulturellen Kontext noch zu selten anzutreffen ist: Gekonnt und vielleicht sogar lustvoll zu streiten, zum Wohle aller Beteiligten.
Veröffentlicht am 30. Aug 2019 in: